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Erschienen in: ZEIT Ausgabe 50 / 2016
Die Autorin: Stefanie Kara
Der Inhalt:
Der Sozialwissenschaftler Sebastian Kurtenbach wollte herausfinden, wie die Wohnumgebung die dort lebenden Menschen beeinflusst. Er hat sehr viele vergleichende Beobachtungen zwischen drei aneinandergrenzende unterschiedliche Siedlungen betrieben. Der Status der Bewohner*innen war jedoch ähnlich. Dabei konnte er die Broken-Windows-Theorie vom Politik- und Sozialwissenschaftler James Wilson bestätigen. Diese besagt, dass Menschen in einer schlechten Umgebung auch schlechtes Verhalten an den Tag legen.
Kurtenbach kommt zu dem Schluss: „Physische Unordnung trägt auf Dauer dazu bei, abweichendes Verhalten zu legitimieren“. Als einen Grund hierfür nennt er die kognitive Dissonanz, die eintritt, wenn verschiedene Wahrnehmungen nicht zueinander passen. Wenn die Umgebung dreckig ist, dann passt es nicht, wenn ich mich „sauber“ verhalte. Also werde ich auch ein bisschen asozialer. Das Gute ist, dass das auch in beide Richtungen funktioniert.
Ein anderer Abschnitt im Artikel bezog sich auf die Frage, wie dicht Nachbarschaft sein soll. Dietrich Fink, Professur für Städtische Architektur an der TU München, sieht als Mittel gegen den Stadtstress den „Zauber des Zwischenraums“. Doch zu viel Platz darf das auch nicht sein. Dann werde der Raum zum Revier, welches man gegen die Nachbarn verteidigt.
Da gerade die Sprache der Gewalt verwendet wird: Jan Philipp Reemtsma (Gründer Hamburger Institut für Sozialforschung) sieht die Nachbarschaft auch als eine „Gewaltressource erster Ordnung“. Die Wohnung wird so wahrgenommen, als sei sie Teil des eigenen Körpers. Wer da Wand an Wand zu laut ist und diesen Körper misshandelt, für den hat man eher weniger Toleranz.
Insgesamt wurden in dem Text zwei Extreme der Nachbarschaft gezeichnet:
- Idealbild des guten Nachbarns: Das waren die Arbeiterviertel der 1950er und 60er Jahre. Man hilft sich gegenseitig und man achtet aufeinander. Es gab nur wenige soziale Unterschiede, dafür ein gemeinsames Ziel: der Aufschwung.
- Die Horrorvision: Vor der Industrialisierung war die Nachbarschaft eine Notwendigkeit und Schicksal zwischen Bauern. Sie hatten dieselbe Zwänge, wodurch sowohl Abhängigkeit als auch Kontrolle entstand.
Gute Beispiele für die bessere Alternative sollen Stolipinowo (größtes Roma-Ghetto Europas) in Plowdiw, Bulgarien und 7de Laan, ein Township im Norden Windhoeks (Namibia, nicht die Soap Opera) sein. In Deutschland soll es den meisten zu gut für die gute alte Nachbarschaft gehen, deswegen ist sie gerade noch nicht so hoch im Kurs.
Erster Gedanke: Menschen, die als Job Menschen beobachten, müssen das glaube ich ziemlich viel erklären…
Lieblingszitat:
Was daraus gelernt: Endlich ein Argument mehr, die Straßen sauber zu halten.
Bewertung: 9 von 10 Nachbarschaftsfesten