Das Buch des ehemaligen Bundesbeauftragten für Datenschutz Peter Schaar ist deswegen in meinen Händen gelandet, da ein Suchalgorithmus mir versprach, es hätte etwas mit Transparenz zu tun. Ich kenne diesen Algorithmus nicht. Vielleicht hätte es noch bessere Bücher gegeben, vielleicht zensiert dieser Algorithmus sogar einige Suchergebnisse. Dieser Algorithmus ist nicht öffentlich, er gehört zum geistigen Eigentum des anbietenden Unternehmens.

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Einblick ins Heilligste

Wenn Schaar in einem Unterkapitel (S.157ff) über Transparenz bei Unternehmen schreibt, dann meint er genau diese Mechanismen. Er spricht sich dafür aus, jene Algorithmen offenzulegen.

Dies soll all jene Versuche blocken, einen geheimen Algorithmus als Geschäftsgrundlage zu benutzen. Das Patent- oder Urheberrecht soll dann die offengelegten Formeln sichern. Darüber hinaus warnt der studierte Volkswirtschaftler, sich mit verklausulierten Datenschutzhinweisen zufrieden zu geben. Ansonsten müsse man sich einmal genüsslich vorstellen, ob die jeweiligen Produkte nicht auch dem Beispiel der Zigarettenverpackungen folgen sollten, mit fetten Hinweisen wie „Dieses Gerät beeinträchtigt ihre Privatsphäre“.

Wir leben in einem venezianischen Spiegel

Allgemein müsse eine neue Klarheit in die Wirtschaft einziehen. Es könne nicht sein, dass Facebook beim Kauf von Whatsapp zunächst zusichert, dass die Dienste getrennt bleiben und dann ein wenig später die Daten der beiden Unternehmen doch in aller Stille verschmelzen lässt. Dies höre auch nicht bei dem Umgang mit nicht-personenbezogenen Daten auf. Durch die Fülle an Diensten und der Gesamtheit ihrer kleinteiligen Datensammlungen kann dennoch ein relativ genaues Datenprofil erstellt werden.

Später (S.201ff) nimmt er sich den gesellschaftlichen Kontext vor und fordert mehr Licht in unserer Informationsgesellschaft, die ähnlich eines „venezianischen Spiegels“ nur einseitig transparent erscheint. Der gläserne Nutzer sieht sich schemenhaften digitalen Machtzentren ausgeliefert. Dies bedeute jedoch nicht im Umkehrschluss die Forderung nach totaler Transparenz. Vielmehr brauchen die Nutzer bei den Verfahren, Strukturen und Entscheidungsprozessen ein Instrument, um Einblicke erhalten zu können. So können sie dann möglichst mündig ihre eigene Wahl der freiwilligen Informationsabgabe treffen.

Für öffentliche Stellen müssen dabei die Informationsfreiheitsgesetze zu Transparenzgesetze erweitert werden, sodass auch proaktiv Informationen preisgegeben werden müssen. In der Wirtschaft konzentriert Schaar sich vor allem auf die Verfahren zur Profilbildung. Er gibt zwar zu, dass eine Offenlegung durch die komplizierte Programmiersprache nicht unmittelbar bei jedem zu einem Aha-Moment führen wird. Jedoch können stellvertretende Experten diese einschätzen und in Laiensprache die Ergebnisse weitergeben. Nur kurz wird auch die Preis- und Kostentransparenz bei digitalen Geschäftsmodellen angesprochen. Hier bleibt es bei der Offensichtlichkeit, dass es „kostenlose“ Produktangebote so eher nicht gibt, da der Nutzer mit seinen Daten bezahlt. Mehr Transparenz kann dazu beitragen, die Datengier solcher Unternehmen zu bremsen und das Informationsungleichgewicht zwischen Nutzer und Dienstleister aufzubrechen.

Mensch < Maschine

Und sonst? Peter Schaar lässt es sich nicht nehmen, am Ende (S.191ff) seines Buches eine Art Forderungskatalog aufzustellen. Er sieht den digitalen Fortschritt nicht mehr aufzuhalten und ruft dazu auf den Autopiloten vieler Nutzer auszuschalten, sodass diese stattdessen die digitale Zukunft aktiv mitgestalten. So ist die politische Willensbildung zu fördern und eben nicht jene Passivität weiter Bevölkerungsteile. Ohne dieses Aufbegehren könnte es dazu kommen, dass sich der Mensch in einer computergesteuerten Gesellschaft als schwächerer Teil der Mensch-Maschinen-Beziehung wiederfindet. Er plädiert für eine Weiterentwicklung der Grundrechte, in der die Verantwortung nicht an Algorithmen abgegeben wird, sondern neu über Werte wie Vertraulichkeit und Integrität nachgedacht wird. Auch der gesellschaftlichen Gerechtigkeitsdebatte soll in der digitalen Gesellschaft mit Mitteln wie dem Grundeinkommen, finanziert durch eine Art Datensteuer, neues Leben eingehaucht werden.  Der Datensammelwut müsse mit einer neuen Qualität der Datensparsamkeit entgegnet werden. Auch über eine rechtliche Machtbegrenzung durch das Kartellrecht steht er offen gegenüber.

Guter Einstieg in Datenschutzpolitik

Zuerst enttäuschte mich das Buch ein wenig. Ich hätte mir auch vorstellen können, dass die Mittel der digitalen Transparenz auch auf klassisch produzierende Unternehmen angewendet werden. Doch hier sind wohl Schaars vergangene Tätigkeiten Schuld für den engen Rahmen und die Konzentration innerhalb des „Digital Business“.

Bei manchen Vorschlägen möchte ich zudem zunächst heftig nicken, um mich einen Moment später zu fragen, ob dass wirklich so eine gute Idee wäre. Bei einer Offenlegung von Algorithmen lassen sich vielleicht findige Menschen etwas einfallen, um diese zweckzuentfremden. Klar kann man immer wieder Linux als Gegenbeispiel einwerfen, allerdings vermisse ich zunehmends ähnliche Erfolgsbeispiele, selbst Firefox scheint so langsam die Puste auszugehen.  Wenn die Diskussion um den versteckten Tinder-Algorithmus und seine Auswirkungen noch eher harmlos sind, so ist die Ausnutzung bekannter Algorithmen schon bedenklicher. Denn gleiches Recht für Alle bedeutet noch lange nicht, dass jede es nutzen kann. Es müsste sich wieder auf Drittanbieter und -expertinnen verlassen werden.
Mir würde es als ersten Schritt schon reichen, wenn die ewigen Geheimniskrämer der Digitalindustrie ein Gremium mit Expertinnen aus der Zivilgesellschaft ins Leben rufen würden, die einen tiefen vertraulichen Blick in die Seele des jeweiligen Unternehmens werfen dürfen. Nichtsdestotrotz freue ich mich natürlich über jedes OpenSource-Projekt, welches den etablierten Kräften so richtig einheizen will.

Insgesamt ist „Das Digitale Wir“ ein gutes und aktuelles Buch für den Einstieg in die Datenschutzpolitik. Ob die jetzige Datenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff sich ähnlich für das Recht auf Privatsphäre einsetzen würde, ist zumindest auf Grundlage der jetzigen Kommunikationsstrategie eher fraglich.

Das Digitale Wir von Peter Schaar

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